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Einmal Silicon Valley und zurück: Teil 2


janwo - 2. September 2022 - 2 comments

Ich begrüße euch zum zweiten Teil meines, sagen wir, Auslandstagesbuches. Da ich überrascht und begeistert von den Reaktionen auf meinen ersten Artikel war, habe ich mich entschlossen, dieses Mal noch weiter zu gehen. Daher habe ich sogar noch schnell meinen YouTube-Kanal aktiviert, um euch auch mit Videos meine Erlebnisse noch besser zeigen zu können. Wenn das nicht mega ist 🚀 Ich schneide die Videos grade, also bitte habt noch etwas Geduld.

Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht: Einen Monat bin ich nun schon hier und habe das Gefühl, eine Druckbetankung an Inspiration und neuen Eindrücken zu bekommen. Ich lerne viele neue Menschen kennen, die unglaublich offen und freundlich sind. Überall werde ich herzlich begrüßt und willkommen geheißen. Ich arbeite fleißig an meinem Englisch und glaube (so zumindest das Feedback), dass ich mich damit bislang ganz gut schlage. Bisher habe ich es eher vermieden, die typischen Touri-Hot-Spots anzuschauen, da ich wirklich eher an den Firmen und den Technologien interessiert bin, die hier entwickelt werden. Es ist nicht so, dass wir in Deutschland und der Schweiz nicht ebenfalls tolle Unternehmen haben, die an Zukunftstechnologien arbeiten, aber die Konzentration ist hier nochmal eine ganz andere. Das führt auch dazu, dass sich eine besondere Kultur um die Tech-Szene entwickelt hat und genau die Nähe zu dieser „Bubble“ suche ich so gut es geht.

Mein jetziger Tagesablauf

Meine Woche sieht meistens so aus, dass ich tagsüber normal arbeiten gehe. Für die, die es nicht wissen: Ich arbeite in einem grossen Pharmakonzern und bin in South San Francisco mitten im Bio- und Pharmapark zu Hause. Eine Ansammlung vieler internationaler Biotech- und Pharmaunternehmen, aber auch kleinerer. Zu Hause arbeite ich in Basel bei Roche. Hier in San Francisco bin ich für Genentech tätig – ein 1976 gegründetes Pharmaunternehmen, das 2009 von Roche aufgekauft wurde. Global betrachten wir uns daher alle als Teil der Roche-Familie. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass solche Auslandsaufenthalte, wie ich grade eins erlebe, eher in internationalen Konzernen möglich sind, als in kleinen (lokalen) KMUs. Und auch wenn ich natürlich hier keine Internas teilen darf, so kann ich doch sagen, dass sich der Inhalt meiner Arbeit im Wesentlichen darauf konzentriert, herauszufinden, was unsere Infrastruktur in den Sites braucht, damit sie für die Zukunft in Sachen Forschung & Produktion so digital und vernetzt wie möglich ist. Und um genau diese Anforderungen noch besser zu verstehen, bin ich in San Francisco – ebenso um die Gegenseite zu erkunden, nämlich was es alles gibt und wo die grossen Tech-Visionen hingehen.

Mein Arbeitsort in South San Francisco

Übrigens, das Titelbild dieses Beitrags zeigt die beiden Gründer von Genentech, jenem Konzern von Roche, für den ich hier in South San Francisco arbeite: den Biochemiker Herbert Boyer und den Investor Robert Swanson. Beide haben Genentech 1976 in San Francisco gegründet und diese Statur soll sie quasi beim Gründungsgespräch zeigen. Das erste Firmenmeeting so zusagen. Hab mich da einfach mal zugesetzt und gelauscht.😉

Nach der Arbeit gehe ich meistens zum Sport und eventuell noch etwas einkaufen. Zum Glück haben mir die Kollegen eine Liste mit zig Empfehlungen zusammen gestellt. Ganz wichtig: Wenn man Lebensmittel sucht, die möglichst wenig behandelt, nach gesüßt oder was auch immer sind, dann geht zu Trader Joes. Das Gute: Sie arbeiten mit lokalen Unternehmen und Bauern zusammen. Das macht die Produkte frisch und man hilft den lokalen Anbietern. Einige Sachen aus meinem ersten Einkauf waren zig ungenießbar, da viel zu süß. Von dem vielen Weißmehl-„Brot“ will ich gar nicht reden. Das beste Brot (was ich als Brot interpretiere und kein Toast ist) heisst übrigens „European-Style“ und ist einfach Schwarzbrot.

Meine Suche nach neuen Technologien, Ideen und Inspiration

In der Freizeit fahre ich dann zu den Tech-Unternehmen. Manche, wie Twitch, haben kleine Besucherzentren. Bei anderen habe ich vorher Termine gemacht oder sie stehen noch an. Bei LinkedIn war z.B. nicht viel zu machen, da kam ich nicht weiter als in die Eingangshalle. Ich habe noch frech über LinkedIn Personen angeschrieben und nach einem Austausch gefragt, aber bislang noch keine Antwort erhalten – mal schauen, vielleicht kommt da ja noch was, denn Hartnäckigkeit zahlt sich ja aus. Bei Google, Apple und Cisco sind für September und Oktober noch gemeinsame Workshops geplant, auf die ich mich tierisch freue. Natürlich werde ich berichten 🤓

Lustiger Fun Fact: Ich hatte mir vorher eine Liste gemacht und recherchiert, welche bekannten (globalen) Player hier in der Bay Area zu Hause sind. Über LinkedIn suche ich dann nach Personen, die dort arbeiten und frage höflich nach einem Besuch. Es ist schon so, dass man irgendeinen Kontakt braucht. Ansonsten ist es (verständlicherweise) nahezu unmöglich „einfach mal rein zu gehen“. Jetzt am Freitag bin ich zum Beispiel bei Rapid Robotics, einem Robotik-Startup. Hier hat mich die Marketing-Chefin über LinkedIn angeschrieben. Da ich nett gefragt habe, ob ich über ihr Robotik-Unternehmen berichten kann. Nicht nur hier auf meinem Blog, sondern z.B. auch für den VDI.

Ende September ist der grosse Tesla AI Day – lediglich 20 Meilen entfernt. Elon Musk kommt auch, aber man braucht eine Einladung, um auf die Gästeliste zu kommen. Ich habe also einfach mal die Tesla Pressestelle kontaktiert – schliesslich möchte ich über das Event ja berichten. Mal schauen, ob es klappt 😜

Eindrücke einer sehr vielseitigen Region

Letzte Woche bin ich über 14 km durch den Financial District in San Francisco gelaufen. Ich war an mehreren Stränden und mit Kollegen abends essen (Tacco Tuesday…yammi). Wenn mir eins immer wieder auffällt, ist es die wahrnehmbare Kluft und gleichzeitig Nähe von Arm und Reich. Auf der einen Seite tolle Häuser, fantastische Wolkenkratzer, reiche Firmen und wohlhabende Angestellte. Im nächsten Block beißender Geruch, viel Müll und obdachlose Menschen, die gezwungen sind, auf dem Bürgersteig ihr Zelt aufzuschlagen (wenn sie überhaupt eins haben).

san-francisco

Es ist schlimm zu sehen, was in und mit der Gesellschaft passiert, wenn Wohlstand und Chancen ungleich verteilt sind. Eine tickende Zeitbombe. Mitten am Tag bin ich an einer langen Schlange wartender Menschen vorbeigelaufen, die für ein Bett für die Nacht anstanden. In diesem extremen Ausmaß ist es mir in deutschen oder schweizer Großstädten bis dato noch nie aufgefallen.

Technologie wohin man schaut

Auf meinen Trips durch die Stadt sind mir vermehrt schwarze Autos mit einer riesigen Menge an Sensoren aufgefallen. Wir alle haben ab und an schon die Autos von Apple oder Google gesehen, die unsere Strassen für die Kartendienste aufnehmen, aber diese waren besonders. Die Menge an sich drehenden Sensoren waren nochmal ganz anders. Sie waren von Zoox – einem (Überraschung) Unternehmen von Amazon für autonomes Fahren. Ein Uber nur ohne Fahrer. Hier bahnt sich also sehr konkret wieder etwas Neues an, auf das man gespannt sein darf. Uber Co-Founder Travis Kalanick ist damals mit dem Vorhaben noch intern gescheitert, eventuell bringt es Amazon jetzt zu Ende.

Zoox auf den Strassen in San Francisco

Eine andere Situation, die mir ebenfalls ein Schmunzeln aufs Gesicht gezaubert hat, war im Restaurant: keine Bedienung, Self-Service via QR-Code auf dem Tisch – mehr nicht. Erstmal nicht unbekannt. Nach dem Scan (um das Menü zu öffnen) habe ich allerdings die Weiterleitung im Hintergrund zu Google Analytics bemerkt – eine Session für Tisch Nr. 10 an dem ich grade sass.

Was getrackt werden kann, wird getrackt werden!

Warum ist das aus Sicht der Restaurants grundsätzlich clever? Ganz einfach: Der Restaurantbesitzer bekommt einen gläsernen Kunden. Er weiß, welche Seiten des Menüs sich der Kunde am längsten ansieht, welche Tische am meisten Umsatz machen, welche Kombination von Gerichten bestellt wird, die durchschnittliche Besetzung der Tische und vieles mehr. Und das Ganze in Echtzeit, zu jeder Zeit, ohne auch nur selber einen einzigen Beleg analysieren zu müssen. Hinzu kam, dass das Ganze mit einem Kundenkonto verknüpft wurde. Wenn ich das nächste Mal käme, kann er mir also aufgrund meiner vorigen Bestellungen noch besser ein Gericht empfehlen (Up-Selling). Zu Hause wurde nach dem Scannen des QR-Codes ein langweiliges PDF geöffnet. Vertane Chance für das Restaurant, Glück für den Datenschutz, denn das war mir dann auch zu viel. Aber es zeigt diese Tech-Mentalität im Kleinsten.

Netzwerken und Kontakte knüpfen

Um zu sehen, wie junge Gründer:innen arbeiten, habe ich mich einen Tag im Salesforce Tower bei WeWork eingemietet. Was soll ich sagen? Es war ein richtig geiler Tag! Ich war inmitten vieler junger Menschen, die alle fleissig über Go-To-Market-Strategien, Produktfeatures, Usertests etc. philosophiert haben. Und das alles in einer Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Ich muss aber fairerweise auch sagen, dass unser neues Bürosetup in Basel, dem in nichts nachsteht. 😉 Dennoch fand ich die Stimmung zwischen den ganzen Gründern:innen berauschend. Ein Spruch eines VCs ist mir da in den Kopf gekommen: Grow or die! Immer wieder hörte man, wie wichtig es sein, schnell zu sein, schnell zu wachsen, schnell Feedback zu bekommen, schnell zu erweitern.

In erster Linie geht es um Schnelligkeit, an zweiter Stelle erst um Perfektion

Auch hier war wieder die Vielfalt zu sehen: divers aufgestellte Teams, eine anregende Arbeitsumgebung und schon ist die Kreativität kaum noch zu bremsen. Ich liebe es ❤️

WeWork San Francisco

Die Sache mit Amazon Go

Ich habe es mir natürlich auch nicht nehmen lassen, endlich mal einen Amazon Go Laden zu besuchen. Und was soll ich sagen? GENIAL….aus rein technischer Sicht! Ich habe die Möglichkeit, mit der Amazon-App, per Kreditkartenscan oder Handflächenscanner einzutreten. Allein beim Gedanken, dass Amazon jetzt noch einen Handflächenscan von mir hat, läuft mir ein Schauer über den Rücken.

Eintrittsmöglichkeiten Amazon Go

Ich hatte das Glück, dass Carlos an dem Tag der Security Officer für den Laden war. Jeder Laden hat derzeit noch so jemanden am Eingang sitzen. Wie sich rausstellte auch sinnvoll, denn wenn die App noch nicht eingerichtet ist oder man das erste Mal da ist, gibt es doch noch einige Fragen. Ausserdem gäbe es ohne ihn noch zu viele Einbrecher, die einfach hineingehen, über die Absperrung hüpfen und sich bedienen.

Auf jeden Fall hat sich Carlos viel Zeit für mich genommen und mir wirklich versucht, alles zu erklären. Er sagte, dass er immer mit den Ingenieuren spricht, wenn sie vorbeikommen und sie ihm wiederum alles erklären.

Technologie kontrolliert alles

Wie ich bereits sagte, ist ein Amazon Go Laden technologisch wirklich faszinierend. Hier kommen wirklich alle Sensorarten zusammen, wie zum Beispiel:

  • Gewichtssensoren unter den Regalböden messen die Entnahme von Waren
  • Federspann-Sensoren registrieren die Entnahme von Waren, die nach vorne gedrückt werden
  • Eine ständige 360° visuelle Bildüberwachung registriert Veränderungen an den Regalenfronten (z.B. wenn Flaschen entnommen werden)
  • Sensoren z.B. in den Getränkenachfüllstationen registrieren die Entnahme, die visuelle Bildanalyse rechnet es mir dann zu
  • uvm.

Jede Sensorinformation wird dann mittels eines visuellen Überwachungssystems meiner Entität (Person) zu geordnet, die ständig visuell detektiert und überwacht wird. Das faszinierende daran ist einfach, dass diese Zuordnung von Waren zu Entitäten über das visuelle Verfahren auch funktioniert, wenn zig Besucher im Laden sind. Das System „weiss“ also wer wann wo ist und welche Sensorinformation von der Person grade durch das Entnehmen von Waren ausgelöst wurde.

War in der Vergangenheit der sog. Storemanager für den Laden verantwortlich, ist es jetzt ein computerbasiertes System. Durch die Entnahme von Waren oder durch das falsche Zurückstellen wird im Backend eine Push-Notification ausgelöst, die zu einer Person im Nebenraum geschickt wird und auffordert, Ware xyz nachzufüllen.
Das führte während meines Besuchs dazu, dass eine Tür aufging und eine Dame eine Tüte M&Ms nachlegte. Einfach deshalb, weil das System das gerade angewiesen hat. Die Algorithmen steuern also den ganzen Ablauf im Laden, nicht mehr der Mensch. Er wird aber komplett gläsern, denn fortan kann ich messen, wie lange beispielsweise das Nachlegen gedauert hat. Der Mensch wird also Teil des Mikromanagements der Algorithmen. Kein Platz für Fehler. Nur 0 oder 1…richtig gemacht oder falsch. Im Kontext der ganzen Diskussionen über das harte Management der Lagerarbeiter von Amazon, bekomme ich dabei ein komisches Gefühl, denn die Richtung ist abzusehen.

Abgeschlossen ist jetzt nicht mehr das Warenlager, sondern der Serverraum, in dem all die Daten eingehen – den Schlüssel hat niemand im Laden. Die Daten sind jetzt wichtiger als die Storewaren selbst.

AmazonGo-JanWokittel
Mit Carlos im Amazon Go Laden
Meine Gedanken nach dem Besuch

Dennoch war Carlos Feuer und Flamme mir alles zu zeigen, denn er sei ja jetzt (noch) wichtig. Ich weiss nicht, ob es seine naive Art war, aber er arbeite dort sehr gerne, sagte er mir. Er teile auch nicht das Argument, dass Amazon Arbeitsplätze vernichte. Sie entstünden nur woanders, z.B. im Engineering oder im Support der Maschinen und Netzwerke. Eine reflektierte Meinung, wie ich finde, womit wir zum Thema Weiterbildung im Digitalen kommen würden.

Carlos hat mich zu Ende noch um ein Foto gebeten. Er zeigte mir über 150 Bilder auf seinem Smartphone, die er mit anderen Kunden aus aller Welt geschossen hat. Er ist so stolz auf seine Arbeit, dass er die Bilder zu Hause in ein Fotoalbum klebt. Dieses hat den Titel: Die Welt besucht mich.

Selten habe ich den Fluch und Segen der fortschreitenden Technologisierung und der Erhebung von Daten so stark gemerkt wie hier. Ein zweischneidiges Schwert, das umsichtig geführt werden muss.

Ausblick

Was erwartet mich und euch noch? Wie gesagt, bin ich noch bei den bekannten grossen Tech-Playern zu Besuch. Ich hoffe, dass ich dort ebenfalls filmen und fotografieren darf.

Zudem steht noch ein größerer Trip zu einem bekannten Unternehmen für mich an. Wohin, verrate ich allerdings noch nicht. 😉 Soviel sei gesagt: Es geht „zu den Sternen“.

⚠️ Wie angekündigt, habe ich ausserdem vor, einige Videos auf meinem YouTube Channel zu veröffentlichen. Gerne könnt ihr ja schonmal ein Abo dalassen, damit ihr garantiert nichts verpasst (Achtung Werbung). Ich brauche neben dem Arbeiten, Schreiben und Entdecken einfach noch etwas Zeit zum Schneiden.

Bis zum nächsten Mal und inspirierende Grüsse. 👋

Die weiteren Teile der Reihe

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